Genusssegeln
Genusssegeln.
…schreibt man mittlerweile mit etlichen “s“ am Stück, kommt mir in den Sinn.
Viel Sonne, stabiler Wind, wenig Welle.
Moderates Krängen, kaum Böen und wenn dann nur leichte Dünung. Der Himmel weißblau, die Klamotten ebenso – weißes Hemd und weiße kurze Hose, maximal hellblau. Ebenso weiß das Bier im Biergarten danach oder warum nicht gleich an Deck oder im Cockpit, kein Problem bei so angenehmer Minimal-Schräglage.
Genusssegeln eben.
Gefüllte Weißbiergläser vor malerischer Kulisse, im Cockpit herrscht ausgelassene, sich zurücklehnende Stimmung. Es wird gelacht und heiter geht’s zu, hier bei uns in Baye…WOMM!
Ich öffne die Augen und merke wieder wo ich bin. Ein paar Minuten zwischen Schlaf und Nicht-Schlaf, vorbei der Genuss, so war es öfter in den letzten Tagen. Es ist dunkel, ich bin unter Deck und bis auf ein paar schwache Kontrollleuchten (das wären dann drei “l“) ist nichts zu sehen außer der unmöglich zählbaren Anzahl an wackelnden und schwingenden Gegenständen. Jacken versuchen zu trocknen, Gemüse versucht nicht zu schimmeln und Michel versucht zu schlafen. Dieser sogenannte Schlaf wurde zum etlichsten Mal unterbrochen, diesmal von einer höheren oder in zu kurzem Abstand anrollenden Welle, diagnostiziere ich, denn das Vibrieren des Rumpfes hallt immer noch nach. Es ist ja nicht das erste Mal, dass es so wummert. Seitdem wir losgefahren sind und den Kurs lediglich zwischen “Am Wind“ und “Hart am Wind“ wechseln, knallt, wummert und dröhnt es unter Deck immerzu. Mal etwas weniger und mal etwas mehr aber eigentlich die ganze Zeit.
Drum ein Blick auf die Uhr: halb drei Uhr nachts.
Jetzt ist`s eh egal, kann ich auch genauso gut aufstehen. WOMM!
Ja, genau.
Ich verkeile mich in mittlerweile gewohnter Weise so, dass ich beim Anziehen von Klamottenschichten und Ölzeug nicht ständig durch die Gegend fliege und grantel´ vor mich hin: „Am Wind segeln sollte es sein, nicht irgendwie raum oder gar achterlich, sondern schön am Wind immerzu. Am liebsten richtig HART AM WIND!“ Den letzten Satz schreie ich schon fast und Lars blickt eher zufällig zum Niedergang herunter, gehört haben wird er oben nichts bei dem Wind.
„Ey Michel, das musst Du Dir reinziehen, das ist die coolste Nachtwache überhaupt!“
Und tatsächlich, sobald ich auf Deck bin, bin ich wieder in einer anderen Welt.
Schlagartig weicht die ruppige, irgendwie aggressive Atmosphäre einer gänzlich anderen. Hier oben ist der Wind angenehmer, die Wellen verträglicher und der Lärm weicht einer gewissen Melodie, ja vielleicht sogar Harmonie.
Und es dauert ein bisschen, bis ich verstehe was Lars damit meint, und zwar solange bis sich meine Augen daran gewöhnt haben. Ich ahne es, also schalten wir sämtliche Lichter aus, auch jegliche Beleuchtung und dann: Uff.
Wir haben einen Schweif.
Pantera ist ein kleiner Komet!
Zugegeben ein ziemlich langsamer, aber genauso wie ein Komet, haben wir jetzt einen Schweif. Es leuchtet um uns herum blassgelb oder grünlich oder auch ein wenig bläulich…ich weiß es nicht genau, aber es ist unglaublich. Jede kleine Gischt und jede kleine Welle bilden einen Leuchtteppich, manchmal sogar an Deck, wenn eine Welle über den Bug geht und das Wasser dann bis zum Heck hin fließt. Sprachlos.
Wir stehen mitten in der Nacht im Cockpit und sind einfach sprachlos.
Weit und breit ist niemand, zumindest kein anderes Schiff, sehr wahrscheinlich auch kein anderer Mensch. Im AIS ist nichts zu sehen, der Funk ist schon seit Stunden still und es ist absolut finster, geschlossene Wolkendecke, kein Mond und keine Sterne…aber wir leuchten!
Wie muss das bloß von oben aussehen, frag ich mich und stell mir das einfach solange vor, bis ich es irgendwie fast sehen kann. Ein kleines Boot, mitten auf dem Atlantik, zieht eine Lichterkette hinter sich her…und zieht und zieht und zieht.
Der mangelnde Schlaf, die steifen Knochen und die Strapazen durch den Kurs, das alles ist weg. Ich setz mich und schau in Lee bis über den Bug und grins einfach vor mich hin, stundenlang. Und dann wäre es tatsächlich schöner, wenn der Tag sich noch etwas gedulden würde.
Danke, Plankton.
Danke, Leben.
Danke.
Vor zehn Tagen sind wir von Teneriffa aus gestartet und nach Zwischenstopp auf Madeira, kaputt aber gesund in Ponta Delgada auf Sao Miguel angekommen.
Der nächste Am Wind-Kurs kann jetzt erstmal warten.
Bom dia Acores!