Seemannsgarn, Sonja

Klar sehen

Wie oft haben wir davon gesprochen in den letzten 2 Jahren..die Strasse von Gibraltar, raus auf den Atlantik… der Respekt vor diesem Wegstück war uns in den letzten Tagen auf dem europäischen Kontinent massiv anzumerken. Die To-Do Listen wurden mal wieder andauernd länger statt kürzer. Bernd musste die nächsten tausend Fragen beantworten zum Getriebe (geht immer noch nicht 100%) und zwecks Umstellung auf spanisches Gas (geht 1a). Unsere neu erworbene Rettungsinsel ließ sich nur unter Einsatz massiv vieler Kabelbinder montieren, dafür war das Aufrüsten der Bordapotheke prächtig unkompliziert (in Spanien gibt es auch echt wilde Medikamente ohne Rezept…). Dann noch schnell in Gibraltar eine Menge Cheddar, Schnaps, Zigaretten und Diesel steuerfrei eingekauft und los ging die wilde Reise.

Wir halten uns an den Rat unseres „pilot book“ und fahren zwei Stunden nach Flut-Höchststand los. So sollten wir möglichst unbeschadet durch die mehrfach am Tag wechselnden Strömungen in der Straße von Gibraltar kommen. Tatsächlich funktioniert das Bestens nachdem sich der Morgennebel verzogen hat. Wir queren die Fahrrinne ohne Probleme und sausen dann mit mehr als 10Knoten im ausströmenden Mittelmeerwasser am nördlichen Rand von Marokko entlang. Grade bevor die Strömung sich umkehrt und der Atlantik wieder Wasser gegen uns schieben kann sind wir durch. Das Meer ist friedlich, die Sonne scheint und wir entscheiden Tanger nicht anzulaufen sondern gleich die 120 sm nach Rabat hinter uns zu bringen. Wir essen zu Abend, sehen die ersten marokkanischen Fischer in winzigen Booten und lassen die Sonne Richtung Amerika verschwinden.

Meine erste Nachtwache von 9-12 vergeht dank Hörbuch flott und ohne Probleme. Als ich aber nach 3 Stunden Schlaf wieder an Deck komme um Michel abzulösen fällt mir das Herz in die Hose. Wir fahren durch Nebel, dicht wie eine Wand! Das war nicht vorhergesagt… Wir haben kein Radar oder AIS auf dem wir Hindernisse oder andere Schiffe sehen könnten und fahren blind durch endloses Weiß!

Kurz versuchen wir Richtung Land zu kommen um zu ankern, verwerfen den Plan aber schnell wieder. Was wenn die elektronische Seekarte nicht stimmt und wir nicht rechtzeitig merken das „Land in Sicht“ gewesen wäre? Oder wenn wieder eine der Fischfarmen umgezogen ist und ihre gewaltigen Netze nicht mehr da sind wo wir sie auf der Karte sehen? Also zurück aufs Meer. Da ist die Gefahr schon kleiner auf feste Hindernisse zu stoßen und die Fähren und Containerschiffe sehen uns ja hoffentlich auf ihren Radarschirmen. Bleibt nur zu hoffen dass sie dann noch ausweichen können… Immer wieder rede ich mir ein, dass der Nebel bestimmt gar nicht soo dicht ist wie es aussieht. Ohne Anhaltspunkt täuscht man sich da bestimmt. Nach wenigen Minuten Fahrt krieg ich die Antwort: eine Boje, rot beleuchtet, saust keine 10m von mir entfernt am Schiff vorbei. Ich habe sie erst gesehen als sie schon fast auf Höhe vom Boot war. Als ich mich nach einer Schrecksekunde umdrehe ist sie auch schon wieder im Nebel verschwunden… bei dem Gedanken dass das auch ein anderes Boot hätte sein können wird mir einigermaßen schlecht. Genauso „sichtbar“ sind unsere Positionslichter für andere!

6 Stunden kämpfen wir uns durch diese Suppe ohne Oben und Unten, geben Funkwarnungen durch und schicken Stoßgebete zum Himmel.

Und dann kommt das Tageslicht zurück. Der Nebel löst sich auf, Meer und Himmel trennen sich wieder.

Der Anbruch eines neuen Tages auf See bringt mich immer wieder zum Nachdenken. Dass es jeden Tag wieder hell wird, daran habe ich daheim keinen Gedanken verschwendet. Wie so vieles andere war das einfach eine Selbstverständlichkeit, jetzt bin ich immer mal wieder so dermaßen dankbar dafür. Keine Angst, ich werde nicht zum Philosophen hier an Bord, aber die extreme Abhängigkeit von Strömung, Licht, Wellen und Wind rücken mir doch immer wieder die Sichtweise auf die Welt ein bisschen zurecht.

Nach Rabat sind wir dann übrigens am gleichen Abend noch gekommen und sehr herzlich aufgenommen worden. Aber die Geschichte vom Ausfall der Seekarte und dem Drogen Spürhund, der in unser Bug-Fenster fiel, überlasse ich wieder dem Kapitän.

Passt auf euch auf,

Sonja