Seemannsgarn

der große Schlag

Von einem Schlag sprechen Segler, wenn sie eine gewisse Distanz, Route oder einen Törn meinen.

Für uns wird die Fahrt auf die Kanarischen Inseln die bislang längsten Etappen und die größte Überfahrt bereithalten.

Ich möchte an Sonjas Worte anknüpfen:

Marokko,

was hab ich mir Gedanken gemacht. Was hab ich Zeit vorher verbracht und im Internet gesucht nach passenden Häfen in Marokko, hab andere Skipper gefragt und mich im Hafen umgehört. Die meisten dachten nicht daran oder wollten ´keinen Landfall in Marokko machen, doch ich hatte jetzt mehrere Hinweise darauf, dass Rabat einen schönen neuen Hafen hat – also nichts wie hin !

Das sagte ich mir zwar, dennoch trieben mich Bedenken um.

Bedenken vor den Häfen, den Behörden, den vermeintlichen Restriktionen und vor den Menschen.

Ach was hab ich mir Gedanken gemacht, wie wir wohl auf die Menschen wirken würden, wenn wir mit einem Boot in ihrer Hauptstadt Halt machen, mit deutscher Flagge und allem drum und dran…und was hatte ich doch Zweifel, dass alles gut gehen würde und ob wir sicher sind und so weiter und so fort. Und das, obwohl wir 2009 ja schon einmal dort waren, in Marokko, in Rabat und im Atlasgebirge und wir ja wussten, was uns erwarten würde. Dass uns die Leute nichts Übles wollen, allerhöchstens vielleicht neugierig sind, oder interessiert an uns oder unserem Boot. Eben genauso wie bei uns.

Und was bleibt mir jetzt als mich über mich selbst zu wundern und zu ärgern…denn meine Bedenken sind auf das allerübelste enttäuscht worden.

Noch draußen auf See, als uns das Lotsenboot abholt, um uns unbeschadet durch die schwierige Hafeneinfahrt und die Untiefen des Bou-Regreg zu bringen, da rufen uns die Lotsen schon entgegen :

„Bonsoir Madames et Mesieurs, bienvenue à Maroc !!! Bienvenue à Marina Bou-Regreg !!!“

Ein unbeschreibliches Gefühl.

Unsere Navigationssoftware war vor einigen Minuten ausgefallen und wir lagen kurz nach Sonnenuntergang wenige Seemeilen vor Rabat und hatten ein Lichtermeer vor uns.  Der Seegang nahm langsam aber sicher zu, und wir wussten, dass die Ausläufer von Tief Elisabeth in der Nacht einfallen sollten. Und während ich versuchte unter Deck die Backup-Navigation zum Laufen zu bringen, höre ich wie Sonja aus dem Cockpit ruft : „da kommt was Schnelles auf uns zu, ich glaub das sind die Lotsen !“

Und von da an, waren wir mittendrin in der marokkanischen Gastfreundlichkeit.

Klar, gibt es auch hier Vorschriften und Gesetze bezüglich Schiffsreisender und bei uns daheim kommen nicht zwangsläufig drei Herren (Zoll, Polizei, Einwanderung) an Bord und kümmern sich um die Formalitäten, jedoch geschieht das absolut respektvoll und professionell. Wir werden nach Waffen, Drogen und Drohnen (!) gefragt und ein Drogensuchhund kommt an Bord, und wie Sonja schon geschrieben hat, ist der Arme tatsächlich durchs Bugfenster gefallen.

Während all der Einreiseformalitäten werden wir sehr respektvoll und anständig empfangen und in Rabat hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Stadt ist noch europäischer als wir sie in Erinnerung hatten und klar, man sieht uns an, dass wir nicht von hier sind, aber die Menschen reagieren weder aufdringlich, noch herablassend oder gar unfreundlich. Interresiert, das sind sie.

Marokko ist immer noch stark geprägt von der Kolonialzeit Frankreichs (1912-1956) und viele sprechen noch immer französisch, zahllose Straßen und Cafes tragen noch immer französische Namen. Die Menschen hier scheinen froh darüber, die Möglichkeit einer zweiten Sprache und die Möglichkeit der Kommunikation mit uns (bzw. Sonja) zu haben und es gibt auch keine Schwierigkeiten, dass sie mit einer Frau reden. 

Mich erinnert Rabat sehr stark an Istanbul noch vor einigen Jahren, als man dort gespürt hat, dass keiner Lust auf radikale Denkweisen, Strukturen oder Gesetze hatte. Auch nicht wenn es um Religion geht, der Muezzin ruft zwar pflichtbewusst und regelmäßig zum Gebet, aber das blockiert nicht das öffentliche Leben und schränkt auch nicht unsere Freiheiten ein…vielmehr macht es das Leben in Rabat noch interessanter. Die vor wenigen Jahren in Betrieb genommene Straßenbahn und die moderne Marina veranschaulichen die Ambitionen einer Stadt im Wachstum und wir könnten hier noch einige Zeit verbringen, aber die Kanaren und unsere Familien erwarten uns.

Wir brechen einige Tage später beim nächsten günstigen Wetterfenster direkt nach Fuerteventura auf, kommen aber mangels Wind nicht schnell voran, und die 3-stündigen Wechsel am Steuer hinterlassen ihre Spuren, v.a. bei den Nachtschichten. Bislang hat die Pantera noch keine echte Selbststeuerung in Form von Windsteueranlage oder Autopilot – wir müssen also im Dauerschichtbetrieb ins Cockpit.

Zum Glück bekommen wir regen Besuch von Zugvögeln und Delfinen, die uns durchweg begutachten und bestaunen und auch mitten in der Nacht die Moral der Crew stärken.

Doch in der dritten Nacht schwinden die Kräfte zusehends und wir funktionieren nur noch…irgendwie. Die schwachen Winde zehren auch an unseren Dieselvorräten und in den Pausenzeiten werden vermehrt Berechnungen angestellt, statt zu ruhen. Zweifel kommen auf, ob der Vorrat an Treibstoff genügt um im Zweifel auch ohne Wind zu den Kanaren zu gelangen und wir hadern mit unserer Entscheidung.  Gut 40 Meilen vor der marokkanischen Küste auf Höhe von Safi erhalten wir dann unsere Antwort. Ein Securityboot kommt längsseits und bittet uns über Funk, den Kurs für 3 Stunden auf 170° zu ändern – aufgrund von Hochseearbeiten an einem Unterwasserkabel ist die See voraus unpassierbar für uns. Betrachten wir den neuen Kurs ist klar wo es hingeht : direkt nach Essaouira .

Rabat war schon eine positive Überraschung aber Essaouira war wie eine positive Überraschung in der 70er Jahre Version.

Sicher, wir waren völlig übermüdet und ausgelaugt, als wir in dem kleinen Fischerhafen ankamen, aber das erklärt sicher nicht das ständige Bedürfnis zu grinsen oder vor lauter Überforderung vor sich hinzustarren.

Fischgestank, Dieselgestank, Rauch überall…Lärm von Kuttern, Fischern, Hafenarbeitern und Offiziellen, die uns über die halbe Mole hinweg zuwinken und die völlig konstanierten Gesichter unsrer neuen Nachbarn aus Polen als wir längsseits und als vierte im Päckchen festmachen, das sind die ersten Eindrücke. Und sie sind die ersten Indizien für 24 Stunden wie im Rausch.

Als wir das erste Mal ins Hafenbüro gehen und mitten durch dieses Kaleidoskop der Eindrücke, bemerke ich, wie Sonja so langsam das Lächeln anfängt und genauso geht es mir. Wir steigen dauernd über Fische und Fischreste, Katzen und balgende Möwen und ich merke wie meine Sinne gerade dicht machen wollen aber dann sitzen wir im Einwanderungsbüro und Sonja unterhält sich mit dem Uniformierten über deutsche Zuchtrinder in Marokko. Es wird gescherzt und gelacht und immer wieder werde ich höflich aber bestimmt mit „Capitane, ici sil vous plait“ zu einer weiteren Unterschrift aufgefordert.

Mir fallen die uralten Rechner mit den win95-Aufklebern auf und der vormalige König von Marokko blickt mich aus seinem Portrait oberhalb des Offiziellen an und scheint mit mir zu reden. „Capitane, ici sil vous plait“ geht es weiter und mittlerweile erfragt der Uniformierte Frisurtipps für seine Frau bei Sonja und begeistert sich mir gegenüber für den FC Bayern … ogott bin ich müd.

Aber ich fühle mich hier nicht unwohl, und dann werden wir mit dem Hinweis und maximaler Freundlichkeit entlassen, dass man hier auch ab und zu gern Wein trinkt, oder Whiskey wenn es sein müsse. Das Grinsen vermag ich jetzt garnicht mehr abzustellen, wir kommen hier wohl später nochmal vorbei.

Nach unserem ersten von drei Antrittsbesuchen, gehören wir irgendwie schon zum Inventar hier und innerhalb kürzester Zeit hab ich einen Termin um Diesel mit einem TukTuk einkaufen zu fahren. Immer öfter werde ich mit Capitaine angesprochen und die Haltung meiner Gegenüber vermittelt mir zusehends den Eindruck ein echtes Amt zu bekleiden.

Einen weiteren Amtsbesuch (die Polizei diesmal) mit diversen Höflichkeiten, Stempeln und Weingeständnissen später, rücke ich mir meine nicht vorhanden Uniform zurecht und nehme leicht erhöht und direkt unter dem Dach eingeklemmt neben meinem Fahrer Abduleiah auf einem Not- bzw. Schleudersitz Platz und wir rattern in Richtung der Tankstelle. Als in der zweiten Kurve das Backbordhinterrad abhebt kreische ich, glaube ich, als der deutsche TÜV-Beamte kurz durch meinen Geist rennt und hochrot mit den armen fuchtelt. Herrlich.

Bezahlt wird hier mit wenigen Dirrham und mit der ehrlichsten Währung der Welt, Bierdosen aus dem Panterabauch. Diese Währung macht die Menschen hier derart froh, dass man sich nur für sie mitfreuen kann und offensichtlich sieht ihr Gott das auch nicht so eng…schließlich gehts hier um ein kleines Bier nach einem harten Tag Arbeit.

Die Menschen hier kennen keine Arbeitszeiten von 9-17 Uhr, sondern sie arbeiten eigentlich immer…die Fischer flicken Netze, verfrachten Fisch, basteln neue Köder und fahren als Erste wieder raus. Die Hafenarbeiter schweißen, hämmern und slippen Boote und die Offiziellen kümmern sich drum, dass hier keiner Unsinn macht – und es funktioniert. Es schaut für unser westliches Auge aus wie der zum Leben erwachte Wahnsinn, aber er funktioniert…und er lässt uns Grinsen.

Als erster am Pier, drei Boote weiter, liegt das Seerettungsschiff und dort wohnt Abduleiah (ja auch er hieß so) und klar kommen wir mit Ihm ins Gespräch. Als ich ihn frage ob er denn auf unser Boot achten könne und dass er sich nicht zu wundern braucht, falls er gleich eine Tüte hier ums Eck auf dem Kreuzer findet in der vielleicht naja „was zu trinken“ drin ist, muss er schon so herzlich lachen, dass ich bald garnicht mehr kann.

Die Leute hier sind der Hammer, aufgeschlossen, freundlich und besitzen einen unfassbaren (auch religiösen) Humor, den ich nicht für möglich gehalten habe, dass er existiert. Nachdem wir noch einige Zeit durch die bunte und saubere Medina spaziert sind geht es in die Koje. Völlig fertig, aber freudig darüber, acht Stunden Schlaf am Stück genießen zu können, merke ich dass ich mich fast in keiner Marina sicherer gefühlt habe als hier. Kurz bevor wir uns schlafen legen, ruft uns Abduleiah und macht uns noch ein unglaubliches Geschenk, eine Seespinne – gerade von einem befreundeten Fischer aus dem Netz geholt.

Er überreicht uns das Geschenk und wünscht uns eine gute Zeit und eine sichere Fahrt auf die Kanaren.

Danke für diese 24 Stunden Essaouira, das werden wir wohl niemals vergessen.

Bei Sonnenaufgang verlassen wir die Hafenstadt, zum Frühstück gibt es Seespinne und während wir noch versuchen das Erlebte irgendwie einzuordnen, schauen wir uns an, schütteln den Kopf und lachen.

Der Wind lässt uns größtenteils im Stich aber dafür bleibt die See meist ruhig und nur wenige Frachter kreuzen unseren Weg. Es bleibt viel Zeit den unglaublichen Sternenhimmel zu betrachten, denn bei Neumond ist hier draußen alles so dunkel, dass die Grenzen zwischen Wasser und Himmel oft nur durch fluoreszierendes Plankton wahrnehmbar sind. Gerade wenn man verloren geht in dem Gedanken 3000 Meter Wasser unter sich zu haben und bis zum Horizont kein Land zu sehen…dann hört man vielleicht das charakteristische „Psccchhhhhhhffff“- Geräusch, wenn knapp neben dem Rumpf eine Delfinschule zu Besuch ist.

Es wäre nicht richtig zu sagen, das Gefühl in die Nacht hineinzufahren wäre das Beste, man gewöhnt sich zwar dran aber das Beste ist wohl aus der Nacht wieder hinauszufahren. Der neue Tag an Bord ist anders als der neue Tag an Land, er ist ein kleines bißchen wie „Land in Sicht“ und strahlt eine ähnliche Hoffnung aus.

Man gewöhnt sich daran im Leesegel zu schlafen (siehe Bild) und man gewöhnt sich auch daran nur Wasser um sich zu haben oder an Deck zu duschen, doch an den 3 Stunden Rhythmus gewöhnen wir uns nicht wirklich.

Unfassbar schön und unfassbar anstrengend, angsteinflössend und ehrfurchtsgebietend, nervenaufreibend und ganz ruhig…das war der große Schlag.

Nach 50 Stunden sehen wir mit Lanzarote zum ersten Mal wieder Land.

Unsere Famile ist da und wir fallen Ihnen mit weichen Knien in die Arme, völlig übermüdet, ausgelaugt und ungläubig, dass wir es endlich wirklich geschafft haben. Vor fast genau 6 Monaten sind wir losgefahren und nach über 1500 Flusskilometern mit über 200 Schleusen und knapp 1800 Seemeilen…sind wir da.

Wir sind da…und wir sind froh.