Fernweh

Faro

Der Name klingt schon wie ein Versprechen. Faro, das ist wie ein kürzeres Wort für Sehnsucht oder Hoffnung. Woher ich das weiß? Weil ich die Reaktionen kenne, wenn die Leute fragen, wo wir denn gerade sind. Und, weil ich weiß, wie es bei uns war.

Wo seid ihr eigentlich?

In Faro. Dann leuchten die Augen, manche lächeln, wirklich alle strahlen spontanes und ehrliches Interesse aus. Ich habe mich schon oft gefragt, warum die bloße Erwähnung dieser Stadt so eine Wirkung auf die Menschen hat, die nie in Faro waren und vielleicht nur eine grobe Vorstellung haben wo das überhaupt ist. Wir waren da nicht anders, wir hatten keine Ahnung und trotzdem war da diese unerklärliche Vorfreude. Woher, warum, wieso kann ich mir bis heute nicht ganz erklären…oder doch?

Unser erster Besuch in Faro war ein Tagesausflug von Olhao aus, und die ersten Impressionen hatten wahrlich nichts mit Hoffnung oder Sehnsucht zu tun. Eigentlich war alles schrecklich, Häuser im Blockbaustil, Essen von der Restaurantkette und die Leute so, wie sie sind, wenn man fremd ist. „People are strange, when you´re a stranger“.

Und jetzt sind wir fast anderthalb Jahre hier. Wie bitte?

Es ist komplex, natürlich. Zunächst war da erstmal die Pandemie und heftige erste und zweite Wellen in Portugal, einschließlich deutscher Hilfseinsätze in Lissabon. Dann waren alle Häfen auf der iberischen Halbinsel geschlossen, dann die Grenzen vieler Länder und am Ende kam auch noch Pech dazu, als wir eine nach der anderen neuen Baustelle bei Pantera entdeckt hatten.

Vom ersten Eindruck zum heutigen Faro, liest sich das dann aber ungefähr so:

Ich sitze in meinem Lieblingsbäcker mitten in der Fußgängerzone und mache dasselbe, was ich hier immer mache: Käsetoast, Orangensaft, Sahnetörtchen, Kaffee. In dieser Reihenfolge. Menschen brauchen ja Rituale, und auch wenn es unendlich viele Varianten gibt, irgendwo findet man sie immer und bei allen. Es gibt Menschen, die immer dieselbe Duschkabine wählen, obwohl sie fünf zur Auswahl haben oder immer von „O bis O“ kurze Hosen tragen (Ostern bis Oktober) und dann gibt´s obligate Nahrungstraditionalisten, die immer Käsetoast bestellen.

„Uma Tosta com quejo, faz favor“

Mein Blick wandert durch die Fußgängerzone, abwechselnd hin und her, auf der Suche nach dem Reim den ich mir machen möchte. Den Reim auf die Vorabwirkung dieser Stadt und irgendwann frage ich mich, ob man ernsthaft süchtig nach diesem Orangensaft werden kann? Orangensaft aus Algarven-Orangen ist schon so ein Knaller, dass es nicht viel mehr für das Paradies braucht. Ich muss es wissen, schließlich war ich mal König vom Orangenland.

Das war vor einigen Jahren in las Palmas auf Gran Canaria, da hatte ich einen Hofstaat und zahllose loyale Untertanen aus runden, überfaustgroßen Orangen. Das waren nicht nur irgendwelche Früchte, nein, sie waren meine „responsibilidad“ und drumherum war ihr Land und mein Land. „Patria o muerte!“ schallte es da manchmal von der Bugkabine, wo ich lag, in Richtung Achterkabine, wo Sonja lag. Ich war der „Rei de las naranjas“ und ich war ein strenger König, aber auch gerecht und hilfsbereit und stark überhaupt alles was mit grandiosen Königen assoziiert wird. Und außerdem schickte ich regelmäßig Hilfstruppen in das mystische Königreich der Achterkabine. Dort herrschte ein anderer König oder sogar eine Königin, vielleicht Ananas oder Mango, ich weiß es nicht sicher, aber beide Königreiche waren krank. Eine Seuche hatte sich eingeschlichen und ausgebreitet, noch weit vor der aktuellen Pandemie – eine Endemie unter Deck.

Es waren furchtbare Kämpfe in beiden Teilen des Bootes, von den Hilfstruppen kehrte kein einziger Rekrut zurück. Keiner von uns verließ das Schiff für mehr als ein paar Minuten, und das für fast zwei Wochen. Die ersten Menschen, die uns dann in Deutschland wiedersahen erschraken, ob unserer Spargeligkeit. Mittlerweile ist die endemische Lage unter Deck lange her, die Gesundheit der Crew stabil und man erinnert an die gefallenen Orangen in Erzählungen wie diesen.

„Was ist denn das Gegenteil von Spargel?“, denke ich und streue etwas Zimt auf das Pastel de Nata (Sahnetörtchen).

Was ist jetzt eigentlich los mit Faro?

Phonetisch könnte man argumentieren, dass kurze Worte mit wenig Silben häufig große Wirkung haben, weil sie direkt und prägnant daherkommen. Negative Beispiele wären ENDE oder HASS, PEST oder LAUS. Eher positiv konnotiert sind SALZ, KUSS oder BIER und die etwas metaphorischen sind dann wohl ZEIT und WIND, MEER oder eben Faro.

Kann es also sein, dass sich so eine Art phonetisch begünstigte Erzählung rund um die Stadt ausgebildet hat? Faro, die Algarven-Metropole, die Lagunen-Perle und das portugiesische Tor zur Welt! Ist es möglich, dass das alles nur ein gigantisches Zerrbild ist, aufgeblasen durch Flüsterpost und Google-Bewertungen?

Naja, wenn man so wie ich jetzt durch das alte Viertel spaziert, entlang einer Allee aus Orangenbäumen, die den Vorplatz der Kathedrale Igreja do Se umrahmt, kann man sich einer gewissen Faszination kaum verwehren. Der Vorplatz ist gleißend hell, die Sonne wird von weißen Wänden und Pflastersteinen so brutal reflektiert, dass man glaubt die Sonnenbrille in der Skihütte vergessen zu haben. Wo aber keine Hütte, da auch kein Ski-Zirkus und dementsprechend ist hier im Winter wenig los. Außerdem ist ja noch Corona und Dezember an der Algarve und, ist das überhaupt warm genug?

Würde man die Störche fragen, würden die sicher alle verneinen und den Kopf schütteln aus Angst die Immobilienpreise für noch unbesetzte Spitzdächer würden weiter in die Höhe schnellen. Man munkelt die Storch-community hegt langsam echte Zweifel an diesem Markt-Modell, das sie sich von uns Menschen abgeschaut haben. Vor allem die jüngeren Störche scheinen ratlos, im Vorbeilaufen hört man häufiges Klappern, das ich für mich so übersetzt bekomme: „Ein spekulativer Markt auf Wohnraum? Seid ihr wahnsinnig?“. Zugegeben ,mein storchisch ist nicht sehr ausgefeilt.

Wärme im Winter in Faro? Zwanzig Grad plus FlipFlops plus T-Shirt genügen mir da als Antwort. Ich weiß aber seit den Azoren (Link->), dass ich mit dem Schuhwerk kaum sinnvoll einen „lost Place“ wie die alte, verfallene Brauerei von Faro erkunden kann. „Damals frisches Bier, Jetzte frische Beats“. So oder so ähnlich stünde das über dem Eingang, wenn das Ganze in Berlin-Friedrichshain wäre.

So schnell man in die Altstadt vordringt, so schnell verlässt man sie auch wieder und kaum eine Zigarettenlänge später, steht man schon außerhalb der Mauern. Für die Jüngeren: die Zeiteinheit der Zigarettenlänge entspricht ein paar Minuten, aber das sagt heute niemand mehr, genauso wie im Tatort niemand mehr raucht. Immer diese Veränderungen…

Apropos Veränderungen: Die maurischen Mauern im Rücken rahmen nicht nur die Altstadt ein, sondern bilden zusätzlich eine Barriere zum Atlantik. Zweimal am Tag kommt die Flut zu Besuch und verwandelt die Stadt in eine echte Oase. Faro liegt also gerade mal halbtags am Meer und dazwischen fällt die Peripherie der Stadt trocken, dann heißt es wieder warten bis zur Instagramability einer Meer-Idylle. (diesmal für die Älteren: ein moderner Begriff für eine hohe Vermarktbarkeit in sozialen Medien)

Wäre man in Venedig, würde man den angrenzenden Sportboot-Hafen von Faro unter Garantie „pittoresk“ nennen und alle würden zustimmend nicken. Hier an der Algarve kommt man nicht auf diese Idee und außerdem fehlen die Gondeln, die Kreuzfahrtschiffe und die von ebendiesen vernichteten Pfahlbauten. Ein Bier am Hafenbecken kostet immer noch nicht so viel wie ein Kinobesuch, also könnte man aus venezianischer Sicht zumindest den Bierpreis pittoresk nennen.

Das namenlose Viertel

Wer mehr Bier und „Nightlife“ braucht, der nur wenige Minuten zu schlendern und steht dann in einem winzigen Viertel, bestehend aus zwei mal zwei Querstraßen – ja, ein Viertel. Über das berühmte Barrio Alto in Lissabon finden sich Tausende Suchmaschinentreffer, während es hier noch nicht einmal einen Namen für die Feiermeile gibt. Gut, es ist randvoll mit Restaurants, Bars, Clubs und sogar Spätis, es gibt jede vorstellbare Kulinarik und noch dazu lokales Craft-Beer, aber…eben ganz ohne Namen!

Jetzt bin ich hier mitten im Amüsier-Viertel und weiß gar nicht, warum ich mich amüsieren sollte. Antworten auf die Herkunft der strahlenden Augen habe ich keine gefunden, nur Lokalitäten, die den Vergleich mit berühmteren Orten auf der ganzen Welt nicht zu scheuen brauchen. Doch, hier herrscht nun einmal nicht dieselbe mediale Aufmerksamkeit und womöglich ist das der Grund für die Vorfreude.

Berlin, Venedig, Lissabon sind die Schlagworte im Reise-Business und man war mindestens in einem der Städte, oder kennt sie sogar alle. In Faro war man nicht, warum auch, man hört ja auch nichts davon. Hier gibt´s keine To-Do-Listen abzuhaken oder irgendwelche Must-See-Spots. Und vielleicht ist das auch ein Teil der Antwort.

Etwas Neues zu sehen ohne etwas sehen zu müssen, ohne Erlebnisgarantie aber auch ohne Erwartungshaltung ist womöglich wie ein Versprechen für wenig Stress. Man muss hier keine Erlebnis-Events absolvieren um mitreden zu können oder Sternenhimmel-Dinner über der Lagune buchen, um alles erlebt zu haben.

Faro ist eine Stadt wie viele andere, hier wird gelebt, gearbeitet und gefeiert und alle schauen, dass sie irgendwie zurechtkommen. Faro muss nicht abliefern, darf auch mal Alltag, und so ist es auch nicht schlimm, wenn man sich zum Sundowner an den Pier setzt, und gerade gar kein Atlantik da ist.

Vielleicht ist Faro ist wie der Feierabend, der muss auch nicht performen und totzdem freuen sich alle darauf.