Fernweh, Seemannsgarn

la Gomera

Knapp drei Stunden sind wir jetzt unterwegs auf See und aus den vorhergesagten Windgeschwindigkeiten von um die 15 Knoten, sind mittlerweile durchgehend 25 geworden. Die Südspitze Teneriffas haben wir schon hinter uns gelassen und der achterliche Wind schiebt uns mit zackigen 7 Knoten auf la Gomera zu…zumindest laut Navi und Kompass, denn von der Insel selbst sieht man noch nichts und das obwohl wir nicht einmal mehr 15 Seemeilen entfernt sind.

Nichts zu machen.

Die Calima, ein starker Südostwind, bringt reichlich Sand aus der Sahara mit und reduziert die Sicht auf die Nachbarinseln drastisch und blickt man zum blau-braunen Himmel hoch, wirkt es als hätte man eine Sonnenfinsternisbrille auf. 

Eine Schicht aus Sand hat sich hoch über uns gelegt und gibt diesem Tag einen unwirklichen, dumpfen Rahmen.

Fast eine Woche hatten wir im Hafen von San Miguel ausgeharrt und gehofft, dass wir endlich los können aber Wind, Wellen und Sand haben uns bestmöglich an die Kette gelegt. Jetzt aber war unsere Zeit gekommen, ein ein- bis zweitägiges Fenster in denen es moderater zugehen sollte…aber Wettervorhersagen auf den Kanaren, naja das hatten wir schon.

Während der Wind sich jetzt langsam auf 30 Knoten einpendelt, lassen sich die Wellen auch nicht länger bitten und tanzen mit. Die ersten Schaumkronen haben wir schon vor einer Stunde beobachtet, mittlerweile bilden sie bei Böen kleine Gischtfahnen, die wie winzige Jetstreams dem Wind hinterher zischen.

Der Anblick fasziniert, denn er setzt sich bis zum heute sehr nahen Horizont fort und begeistert durch tausendfache Wiederholung. Lange lässt er sich jedoch nicht geniessen, zu sehr reissen die nahen, unmittelbaren Wellen die Aufmerksamkeit an sich. Pantera stampft die Berge und Täler rauf und runter und lässt sich nicht beirren, spülen uns die Wellen ja in die richtige Richtung und ihr Heck schafft zuverlässig jeden Anstieg. Ich frage mich wie hoch die Wellen mittlerweile sind, ich schätze zwischen 2 und 3 Metern…oder mehr oder weniger.

Aber wie soll das eigentlich gehen – wie soll man denn mittendrin auch nur annähernd eine vernünftige Schätzung machen während sich absolut alles um einen herum bewegt. Konnte ich noch nie verstehen, wenn andere Segler mir gegenüber felsenfest behaupteten sie hätten hier und da 6, 8 oder 10 Meter hohe Wellen gehabt. 

Eigentlich gibt es nur zwei Typen von Wellen, welche die noch gehen und welche die halt einfach nicht mehr gehen, ganz einfach eigentlich. Digital. 1 und 0. Herrlich, denke ich und drehe mich unvermittelt um.

Ich weiß nicht woran das genau liegt, aber man spürt wenn eine Welle plötzlich größer ist als die anderen oder es liegt daran dass sie sich am äussersten Blickfeldrand ankündigt und das Unterbewusstsein sofort den Kopf rumreissen lässt. Ich kannte das aus dem Golf von Lyon und jetzt passiert es wieder…ganz klar, da kommt ne 0 spür ich mich noch denken.

Sagen hör ich mich nur : “ ok …die packen wir nich mehr “ .

Lars und ich ziehen die Köpfe ein aber das ist reine Kosmetik (zum Thema Bartkosmetik bitte hier entlang), die Welle trifft uns leicht seitlich am Heck und bricht auf Höhe der Reling und duscht uns einmal durch. Gut, dass ich meinem Gefühl folgend, natürliche Hafenklamotten trage und diese der Hochseedusche quasi null entgegenzusetzen haben. 0 . Digital !

Sonja war gerade unter Deck und ich gehe runter und will nachschauen ob alles in Ordnung ist und auch mal was seetaugliches anziehen. Unterbewusst geht mir ein Text durch den Kopf, der mir in solchen Momenten immer durch den Kopf geht :

Statistisch gesehen kummuliert angeblich jede 10. Welle und ist ein wenig höher als die anderen – genauso dann jede 100. und dann jede 1000. und so weiter und so weiter. Dazu muss natürlich der Wind eine gewisse Zeit lang aus der selben Richtung kommen und das ist ja auch nur statistisch … und dann : BÄM !

Ich seh noch, wie unter Deck die Backbordseite in dunkelblau versinkt und dann knallts. Zuerst denke ich, wir müssen etwas gerammt haben so sehr wie das gewummert hat und der Vibration zur Folge, die da durchs Schiff ging. Aber als ich mich umdrehe und ins Cockpit schaue sehe ich nur wie Lars, zwar deutlich nasser als noch zuvor, angestrengt aber durchaus mit einer Art Grinsen im Gesicht das Ruder festhält.

Wir kommen darin überein, dass das wohl auch eine war „…die halt nimmer geht“ und verbringen die restliche Zeit bis Gomera im Cockpit, von jetzt an voll hochseetauglich ausgerüstet.

Wir sind froh, als wir den ersten großen Wellenbrecher von San Sebastian passieren und zelebrieren unsere Ankunft sichtlich erleichtert und schildern uns gegenseitig wie jeder einzelne die Brecher erlebt hat.

Passiert ist weiter nichts, es blieb bei den zwei Brechern. Unter Deck war so ziemlich alles verwüstet aber das war nicht das erste Mal. Ähnlich große Wellen hatten wir im Golf von Lyon schon einmal, nur keine 100er oder 1000er. Der Wetterbericht auf den Kanaren war auch nicht das erste Mal zu wohlwollend mit dem Wind und wir waren auch nicht das erste Mal so froh im Hafen zu sein…aber es war das erste Mal dass die Wellen derart durchs Cockpit sind und definitiv das erste Mal das Gefühl einen Wal gerammt zu haben.

Aber, dass Pantera mehr abkann als wir, das war nicht das erste Mal.

La Gomera ist zunächst mal so ganz anders als es die großen Kanareninseln sind, die zweitkleinste Insel des Archipels ist ruhiger, grüner und steiler als alle bisherigen Inseln. Und unter ruhiger kann man auch verstehen, dass Deutsche eben nicht zu den redseligsten Völkern gehören.

Die Insel ist bei Wanderern (und das deutsche Volk, das wandert gern) unglaublich beliebt und das auch zu Recht, denn was uns kurz vor Silvester bei der Gipfelwanderung und dem Abstieg ins Valle Gran Rey tags darauf geboten wird, ist atemberaubend.

Die Natur steckt hier mittendrin in den Frühlingsvorbereitungen – was blühen kann, blüht und was grünen kann grünt, so dass es schwer fällt nicht den ganzen Marsch über ein Grinsen im Gesicht zu tragen. Da der Südwind weiter zunimmt beschert uns das dazu einen wolkenlosen Himmel über dem Lorbeerwald. Unwirklich.

Je näher wir dem Gipfel kommen, umso mehr Menschen begegnen uns und schnell gewöhnen wir uns daran, ausschliesslich in deutsch gegrüsst zu werden und so lässt auch das erste „Servus“ nicht lange auf sich warten – unsererseits. Einzig die Markierung am Gipfel, lässt ihn uns als solchen erkennen – so wenig setzt er sich von den anderen Erhebungen ab, aber von hier sehen wir nun deutlich el Hierro und la Palma. Leider wird auch immer klarer, dass der Wetterbericht dieses Mal zutrifft und wir kurzfristig Hierro nicht erreichen werden, wir bewegen uns auf Windstärke 9 zu und keiner empfindet echten Antrieb raus auf See zu fahren.

Wir verbringen die Nacht in dem kleinen Örtchen las Hayas, geniessen kanarische Gastfreundschaft und mit Gomeron, den womöglich gruseligsten Schnaps, der je gebrannt wurde. Am nächsten morgen sind wir sichtlich erfreut und überzeugt von der kanarischen Hausbauweise. Der Wind hat weiter zugelegt und schon so den ein- oder anderen Zweifel genährt…ob das Gasthaus das wirklich aushäl…ach lassen wir das.

Strahlend blau auch heute und nach wenigen Abstiegsmetern sind wir im Windschatten. Jetzt kommen die Eindrücke von allen Seiten. Das grün hier leuchtet und wird nur abgelöst von anderen leuchtenden Farben. Rot , Orange, Lila oder alles gemischt – dazwischen Früchte, überall Früchte und kleine Felder mit Kartoffeln, Gurken, Erdbeeren…und was weiß der Herr noch alles. Es ist unglaublich, welch ein Potential hier aufgrund von Lage und Klima für die Natur oder für den Gärtner herrscht.

Es blüht und reift hier einfach das ganze Jahr lang alles, also wenn hier jemand Lust auf so nen bischen Garten hat, dann … organisiert er sich mal lieber. Weil sonst : macht einen der eigene Garten hier fertig, aber halt so richtig!

Ohne Excel-Tabelle, to-Do-Kalender für jeden Tag und regelmäßigen Meetings zum Stand der Dinge, seh ich hier keine Chancen selbst ohne Sommer- oder Winterurlaub oder überhaupt auch nur einem Tag frei. Der Garten, auch wenn er nur 20 oder 30 Quadratmeter hat, ist wohl noch ganz zahm wenn man das erste Mal aussäht und alles vorbereitet und so weiter…und dann macht er einen fertig !

Kartoffeln müssen raus, Erdbeeren geerntet werden (täglich), die Passionsfrucht beschwert sich auch schon und dann ist ja auch noch dieser Kürbis, ogott dieser Kürbis – wohnt mittlerweile zur Untermiete beim Nachbarn, weils einfach nicht mehr anders geht und bald kann man den sowieso nicht mehr ernten, denn wenn das so weitergeht muss ich die Feuerwehr rufen sonst blockiert er die Straße auch noch und Ogotottogottogott !!!

Wahnsinn alles hier…Garten müsste man haben.

Auf den letzten Kilometern zum Strand, wandern wir durch einen kleinen Bambuswald und irgendwie schleicht sich Jimi Hendrix ins Unterbewusstsein – klar, das ist Klischee und eigentlich viel zu überladen aber es passt unglaublich gut. Dieser Ort bzw. dieses Tal war einst ein absoluter Geheimtipp der Hippiegeneration, wurde dann zum Hype und schliesslich vergessen. Die Zeiten und die Menschen hatten sich geändert, viele Ziele und Ideale gingen verloren und übrigblieb eine hübsche, wenn auch leere Hülle.

Gelegentlich sieht man sie noch, die Hippies – Originale von damals und Replikate von heute und auch die Ideale blitzen manches Mal durch, mit Malereien und Sprüchen an Häuserwänden oder in den kleinen Läden mit dem selbstgemachten Schmuck. Überbleibsel einer ganzen Generation, die alles ändern wollte … und ja, vielleicht auch einiges geändert hat.

Die Revolution blieb zwar auch hier aus, denn jetzt bevölkern unzählige Touristen jeden Tag das Tal und die Strände, deutsches Hefeweissbier hat es auch in den Westen la Gomeras geschafft, genauso wie deutsche Aussiedler, die uns kernig und bestimmt darauf hinweisen im Bus bloß nichts zu essen , denn sonst würde uns der Busfahrer aus dem Bus werfen !!

Und dennoch : dieser Ort und dieses Tal versöhnt mit all dem Ballast, den der Mensch hierher mitgebracht hat und mitbringt…er hatte keine Revolution nötig um ein besserer Ort zu werden und ganz sicher hat er auch nicht meine Einschätzung nötig um ein bessere Ort zu sein, aber er stimmt uns friedlich denke ich mir, trinke einen Schluck vom Hefeweissbier und bilde mir ein ich hätte soeben ein schwimmendes Einhorn gesehen.

Wunderbar.